Der Hospizdienst Melsunger Land ist ein eingetragener Verein, in dem Menschen Schwerstkranken und deren Familien Zeit schenken . In diesem Beitrag erzähle ich, wie ich dazu gekommen bin, mich im Ehrenamt als Sterbebegleiterin zu engagieren.

Ein außergewöhnlich schöner und warmer Nachmittag an einem breiten Sandstrand auf Langeoog: blauer Himmel, Meeresrauschen, feiner gelber Sand. Es ist sommerlich warm – perfektes Badewetter und ein perfekter Badeort. 6 Frauen, bis zum Bauchnabel im Wasser stehend, haben sich im Kreis aufgestellt. Sie lachen, sind ausgelassen und spielen. Ein Spielgerät haben sie nicht, aber ihre Vorstellungskraft. Und so entbrennt eine wilde Hatz um einen imaginären Ball.
Einiges ist besonders an dieser Szene: in der Mitte der spielenden Frauen sitzt Agathe in ihrem Strandrolli. Mit ihren 80 Jahren wollen ihre Beine nicht mehr so, wie sie es will und doch ist sie mittendrin und voll dabei. Sie und die anderen Frauen sind im Ehrenamt Sterbebegleiterinnen im Hospizdienst Melsunger Land, dem ambulanten Hospizdienst des Altkreises Melsungen.

„So – jetzt bin ich hier!„
Vor mehr als 7 Jahren zog ich mit meinem Büro von Bad Hersfeld ins nordhessische Dagobertshausen, wo ich mit meiner Familie seit mehr als 20 Jahren lebe. Der Wegfall der täglichen Pendelstrecke zwischen meinem damaligen Büro und meinem zu Hause schenkte mir Zeit und Energie und ich konnte mich endlich mit meinem seit langem bestehenden Wunsch auseinander setzen, wie ich mich ehrenamtlich engagieren könnte.
Möglichkeiten in ortsansässigen Vereinen gab es einige: die Freiwillige Feuerwehr, der Schützenverein, ja sogar einen Theaterverein gibt es in Dagobertshausen! Eines Abend sah ich im Fernsehen einen Bericht über einen Mann in Hamburg. Er geht ehrenamtlich in Familien, um im Speziellen Kinder zu begleiten, wenn plötzlich, beispielsweise durch einen Verkehrsunfall, ein Angehöriger verstorben ist. Er sagte in diesem Interview: „Wenn ich bei den Kindern zu Hause ankomme, sage ich als Erstes – so, jetzt bin ich hier! – und das schenkt den Kindern ein wenig Ruhe und Sicherheit in dieser außergewöhnlichen Situation.“ Das hat mich sehr berührt und ich wusste sofort: Das ist es! So ein Ehrenamt will ich auch!
Die geschenkte Zeit im Ehrenamt
„Schön, Sie kennenzulernen!“ So begrüßte mich Petra Hochschorner bei unserem ersten Treffen im Büro der Hospizgruppe herzlich. Durch die ruhige, wertschätzende und souveräne Art der hauptamtlichen Koordinatorin fasste ich schnell Vertrauen und meldete mich quasi gleich zum nächsten einjährigen Ausbildungskurs zur ehrenamtlichen Sterbebegleitung an.
Das Erste, das ich im Kurs lernte, war, dass ein Hospizdienstler nicht erst kommt, „wenn es zu Ende geht“. Ambulanter Hospizdienst setzt da an, wo es in den Familien eine schwere oder schwerste Erkrankung gibt. Wir kommen, wenn die Belastung der Erkrankten und ihrer Angehörigen so stark ist, dass Hilfe und Begleitung sinnvoll sind und von den Betroffenen gewünscht wird.
Als Zweites wurde mir schnell klar, dass ein ehrenamtlicher Sterbebegleiter keine medizinischen oder pflegerischen Leistungen erbringt. Vielmehr schenkt der Zeit.
Das Angebot ermöglicht es den Betroffenen Dinge zu verwirklichen, die in der extremen Belastungssituation einer schweren Erkrankung oder des nahenden Todes auf der Strecke bleiben. Sei es ein Gespräch, ein Sich-mal-anlehnen, ein Sich-mal-ausheulen. Sei es, miteinander zu singen oder zu beten, eine Geschichte gemeinsam zu lesen oder Familienbilder anzuschauen. Oder sei es, da zu sein, wenn ein pflegender Angehöriger mal auf einen Geburtstag gehen möchte oder schlicht zum Friseur.

„Ja, Du bist ja ein Schatz!“
Mit diesem Satz strahlt mich eine alte Dame an, die ich im Pflegheim besuche. Sie hat gerade ihren neunzigsten Geburtstag gefeiert und wir haben gemeinsam ein Lied gesungen und ein Gebet gesprochen. Das kam so von Herzen – ich war seelig!
Für mich ist das Schenken von Zeit und Aufmerksamkeit, von Lachen, Trost und Zugewandheit das Sinnvolle und Erfüllende an diesem Ehrenamt. Es ist jedesmal wieder erstaunlich zu erleben, wie viel ich in den Begegnungen mit den Erkrankten und deren Angehörigen zurück bekomme: Dankbarkeit, Freude, Zuversicht und Zufriedenheit.
Auch der regelmäßige Austausch mit den anderen Sterbebegleiterinnen ist wichtig und wertvoll für mich. Ich habe in vielen von ihnen nicht nur Gleichgesinnte gefunden, sondern wertvolle Freundinnen. „Die Arbeit, die Sie tun, ist wichtig! Wir können uns als Stadt glücklich schätzen, solch engagierte Menschen in unserer Mitte zu haben.“ sagte mir ein Arzt aus Melsungen neulich in einem Gespräch. Es stärkt zu erleben, welche Wertschätzung und Unterstützung der Verein für seine Arbeit erfährt.
Die Hospizgruppe Felsberg-Melsungen und ihr 15-jähriges Jubiläum
2021 wird ein besonderes Jahr für die Hospizgruppe Felsberg-Melsungen. Sie besteht dann seit 15 Jahren. Anlässlich dieses Jubiläums sind unterschiedliche Veranstaltungen und Ausstellungen in Planung. Viel wird davon abhängen, wie weit die Corona-Pandemie bis dahin eingedämmt ist.
Als besonderes und vielleicht einmaliges Ereignis hat der Verein im vergangenen September für mehr als zwanzig ihrer ehrenamtlichen Sterbebegleiter*innen einen mehrtägigen gemeinsamen Aufenthalt auf der Insel Langeoog organisiert. Ziel war es, die Gemeinschaft zu stärken und Zeit und Raum für den gemeinsamen Austausch zu geben.
Eine Ehrenamtliche schrieb mir kürzlich in einer email: „Ich bin noch immer so berührt von dieser Reise. Die Zeit mit Euch war so ein Geschenk!“ Das war das wirklich Besondere an dem gemeinsamen Bad in der Nordsee, auf der Insel Langeoog im September 2020!